Die Entstehung einer Bibliothek

26 März 2025

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Sa Sainteté le XIVᵉ Künzik Shamarpa, Mipham Chönyi Lodrö, lors de l’inauguration de la bibliothèque, le 13 juin 2013, en présence des représentants de l’état

Rangjung Rigpe Dorje, Seine Heiligkeit der 16. Gyalwa Karmapa, erklärte, dass die Existenz einer Bibliothek eine der fünf zentralen Mittel ist, damit der Buddhismus dort Wurzeln schlagen kann, wo er vorher nicht existierte.

Die Bibliothek von Dhagpo Kagyü hat daher die Aufgabe, einen einzigartigen buddhistischen Bestand zu bewahren, dessen Zukunft in seinen Ursprungsländern ziemlich ungewiss ist.  Auch nach verlorenen Texten zu suchen, die in Tibet, Indien, China oder anderswo auf der Welt manchmal nur in sehr wenigen Exemplaren neu aufgelegt werden, ist Teil davon. Der Erhalt ist zwar von entscheidender Bedeutung, stellt aber keinen Selbstzweck dar: Das Ziel ist es, dieses Wissen so vielen Menschen wie möglich zugänglich zu machen.

In unserem westlichen Kontext gibt es nur wenige Menschen, die als Buddhisten geboren werden. Wir werden es, Schritt für Schritt, indem wir uns das Verständnis von Buddhas Botschaft aneignen und sie anwenden. Der Buddha lebte vor über 2500 Jahren; wie sind seine Botschaft und seine Methode zu uns gelangt? Durch vollendete Praktizierende und ihre Schriften: eine sorgfältige handschriftliche Aufzeichnung der Lehren durch die ersten Schüler des Erleuchteten. Diese Texte wurden später kommentiert, übersetzt und veröffentlicht – mit anderen Worten: zugänglich gemacht und weitergegeben.

In der Karma-Kagyü-Linie wird das Buch an sich nicht verehrt, es ist ein Instrument zum Verständnis und zur Erinnerung an den Pfad. Praktizierende reihen sich in eine Tradition ein, wenden die Lehren eines qualifizierten Lehrers an,vertiefen sie, um das Erbe in sich aufzunehmen, bis es das eigene wird. Es ist der Mensch, der weitergibt, das Buch spielt die Rolle des Trägers, des Gedächtnisses, das die Voraussetzung für die Weitergabe ist.

Wann wurde die Dhagpo Kagyü Bibliothek gegründet? Alles begann an einem Tag im April 2000, als eine Sammlung tibetischer Texte in Form von 37.000 Mikrofilmen eintraf.

Vom Kalten Krieg zu Büchern für den Frieden

Mitten im Kalten Krieg wurde ein amerikanisches Nahrungsmittelhilfeprogramm namens Public Law 480 (PL 480) für diplomatische Zwecke in verschiedenen Ländern auf der ganzen Welt, darunter auch Indien, eingerichtet. Ende der 1950er Jahre arbeitete ein Amerikaner namens Gene Smith (1936-2010) im Auftrag der Library of Congress (Kongressbibliothek) in Washington in Neu-Delhi. Den Großteil seiner Zeit verbrachte er mit dem Versuch, buddhistische Texte wiederzubeschaffen, die während der chinesischen Invasion Tibets verloren gegangen waren, und mit der Anfertigung von Kopien der Bücher, die ihm zugespielt wurden. Ein Programm von der Größe und Bedeutung des PL 480 war sicherlich dazu geeignet, die Veröffentlichung der gesammelten tibetischen Texte zu unterstützen, aber was hatte die Veröffentlichung alter Texte mit der Verteilung von Lebensmitteln zu tun?

Gene Smith schlug vor, aus der wachsenden Reichweite des PL 480 Kapital zu schlagen und dieses Nahrungsmittelhilfeprogramm auf „geistige Nahrung“ auszuweiten, d.h. die Kongressbibliothek sollte tibetische Texte über das PL 480 erwerben können. Nachdem die administrativen Herausforderungen bewältigt waren, konnte Gene Smith mit der Hilfe vieler herausragender Meister der damaligen Zeit wie Dilgo Khyentse Rinpoche (1910-1991), Dudjom Rinpoche (1904-1987) und vielen anderen diese gefährdeten Kulturschätze der Menschheit aus dem Himalaya, d.h. Tibet, Bhutan und Nepal sammeln. Er organisierte den Druck dieser alten Texte mit fotomechanischen Mitteln, damit sie in neue, käuflich erwerbbare Publikationen umgewandelt werden konnten. Nach heutigen Standards war dies eine recht primitive Methodik für die Herstellung von Büchern, aber eine unbestreitbar brillante Lösung in dieser Zeit. Ziel war es nicht nur, diese gefährdeten Bücher vor dem Verschwinden zu bewahren, sondern auch ihre Veröffentlichung für zukünftige Generationen zu fördern.

Diese Texte aus allen Traditionen des tibetischen Buddhismus wurden in erster Linie durch tibetische Praktizierende bewahrt, die sie unter Einsatz ihres Lebens mit ins Exil nahmen. Durch die Arbeit und den Einfallsreichtum von Gene Smith konnten sie bewahrt und zugänglich gemacht werden.

Anschließend wurden die Texte vom Institute for Advanced Studies of World Religions (Institut für weiterführende Studien der Weltreligionen) in New York zum Zwecke der Erhaltung auf Mikrofilm übertragen. Dank der Großzügigkeit eines Mäzens hat die Dhagpo Kagyü Bibliothek eine Kopie der nahezu gesamten Sammlung erworben: 37.000 Mikrofilme mit rund 3.000 tibetischen Titeln in westlichem und traditionellem tibetischen Format. Die Mikrofilme können in der Bibliothek auf einem speziellen Scanner gelesen und digitalisiert werden.

Als die Mikrofilme eines Tages im April 2000 ankamen, sagte Lama Jigme Rinpoche:

Jetzt können wir wirklich sagen, wir haben eine Bibliothek!

Auch wenn es bereits eine Art Bibliothek gab, vor allem dank der von Erwan Temple gekauften Dokumente, war die Ankunft dieser Schätze ein wichtiger Schritt in ihrer Entwicklung.

Sa Sainteté le XIVᵉ Künzik Shamarpa, Mipham Chönyi Lodrö, lors de l’inauguration de la bibliothèque, le 13 juin 2013, en présence des représentants de l’état

Die Bibliothek von Dhagpo wurde am 13. Juni 2013 von Mipham Chökyi Lodrö, Seiner Heiligkeit dem 14. Künzik Shamarpa, eröffnet und ist seither für die Öffentlichkeit zugänglich. Sie beherbergt heute über 14.000 Dokumente in tibetischer und westlicher Sprache sowie Tausende Stunden Audio- und Videoaufnahmen von Belehrungen inzwischen verstorbener Meister. Alle diese Dokumente können im öffentlichen Lesesaal kostenlos eingesehen werden. Die Bibliothek erstreckt sich über ein internationales Netzwerk von Bibliotheken in Frankreich, Indien und Nepal. Sie können den Online-Katalog der Bibliothek über eine spezielle App und die Website durchsuchen. En Team von Freiwilligen widmet sich derzeit dem laufenden Hauptprojekt, der Digitalisierung von Audiodokumenten. Diese historischen Dokumente, die von den ersten Schritten des Dharma in Europa zeugen, werden bewahrt und nach und nach in der Dokumentationssammlung zugänglich gemacht.

Alle Lesenden sind in dem ruhigen und hellen Raum des Lesesaals willkommen. Im Rahmen von Führungen kann man auch den Dokumentenbestand besichtigen.

Die Bibliothek von Dhagpo wurde von vielen bedeutenden Lehrenden besucht, von den Linienhaltern der Karma Kagyü- und Nyingma-Linie. Hierzu zählen Thaye Dorje, Seine Heiligkeit der 17. Gyalwa Karmapa Seine Heiligkeit der verstorbene Dudjom Rinpoche, Ihre Eminenzen Jamgön Kongtrül Rinpoche und Beru Khyentse Rinpoche und viele andere tibetische und westliche Gelehrte, die immer interessiert an neu erworbenen oder wiedergefundenen alten Texten sind.

Thayé Dorjé, Sa Sainteté le XVIIᵉ Gyalwa Karmapa en visite à la bibliothèque avec l’équipe de bibliothécaires, lors de sa venue à Dhagpo Kagyu Ling en 2023

Die Bibliothek bietet den Zauber des Dialogs mit Persönlichkeiten aus einem anderen Jahrhundert in einem zeitlosen Rahmen. Bücher ermöglichen es uns, diejenigen zu treffen und von ihnen zu lernen, die nicht mehr da sind.

Ein Buch ist lebendig, wenn es im Geist einer Person verweilt. Nur so wird der Dharma lebendig.

Lama Jigme Rinpoche

 

Veranstaltung

Am 30. April findet ab 14:30 Uhr aus diesem Anlass und zum ersten Mal in Dhagpo Kagyu Ling eine Prozession mit dem Kangyur statt, zu dem alle Praktizierenden eingeladen sind.

Zuvor, vom 14. bis 18. April (von 10:00 bis 10:30 Uhr und von 14:00 bis 14:30 Uhr), sind Praktizierende, die Tibetisch lesen können, eingeladen, sich am Vorlesen jedes einzelnen der 103 Bände, aus denen die Sammlung besteht, im Lesesaal der Bibliothek und im tibetischen Dokumentationsbestand teilzunehmen.

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